Eine Nacht bei der Sucht-Hotline in München

Von verzweifelten Menschen, die nach Hilfe rufen

Die Nächte bei einer Sucht Hotline sind für die ratgebenden Personen nicht immer leicht durchzustehen, können aber für die betroffenen Anrufer oft auch sehr hilfreich sein. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dazu verpflichtet, Anrufe zu protokollieren. Hier berichtet ein ehrenamtlicher Mitarbeiter über den Ablauf einer solchen Nacht.

19:25

Ich komme nicht gerade pünktlich zur Nachtschicht. Hoffentlich reicht dennoch die Zeit zur Übergabe.

19:27

Freue mich, gerade auf diesen Nachmittagsdienst zu stoßen. Wir haben vor 7 Jahren die Ausbildung zusammen gemacht und uns schon länger nicht gesehen. Leider bleibt nicht viel Zeit für Privates. Am Nachmittag haben 8 Leute angerufen, zwei davon schwierig und mein Vorgänger möchte mich kurz darüber berichten, da sie sich vielleicht nochmal in meiner Schicht melden.

19:41

1. Anruf: Ein Mann, der gerade von der Arbeit nach Hause kommt und dessen Frau völlig alkoholisiert in der Wohnung liegt. Er möchte wissen, was er tun soll. Soll der Notarzt gerufen werden?

19:57

2. Anruf: Der 25-jährige Sohn des Anrufers verspielt sein ganzes Geld. Er versucht den Sohn durch finanzielle Hilfen immer wieder über Wasser zu halten und verlängert dadurch die Sucht. Alle Versprechungen des Sohnes werden nicht eingehalten. Immer wieder weint der Vater und ich kann seine Verzweiflung spüren. Wir sprechen über seinen Ärger, den er bisher nicht zulassen konnte.

20:34

3. Anruf: Eine 37-jährige Frau war nach der Entgiftung im Krankenhaus einige Monate trocken und ist jetzt wieder rückfällig geworden. Sie trinkt jetzt 3 Liter Wein täglich. Bis jetzt hat sie keine Therapie gemacht. Wir sprechen über ihre Ängste vor der Therapie. Sie findet für sich eine Lösung, zu einem Vorgespräch in eine Einrichtung zu fahren und sich diese unverbindlich anzuschauen. Vielleicht nehmen dann die Bedenken ab.

21:00

Gerade ruft niemand an und ich habe Zeit, mir einen Tee zu machen und den Raum mal richtig durchzulüften.

21:18

4. Anruf: Der 31-jährige Anrufer ist seit 2 Wochen clean und trocken. Seitdem hat er regelmäßig Panikattacken. Deshalb ruft er auch jetzt an. Er beruhigt sich und ist zufrieden, dass er nicht rückfällig wurde. Wir sprechen darüber, wo er sonst noch Unterstützung holen kann.

21:57

5. Anruf: Ein 27-jähriger Anrufer schildert seine Situation. Seine Freundin will ihn wegen seiner Kifferei verlassen und der Arbeitsplatz hängt am seidenen Faden. Trotzdem möchte er nicht von den Drogen lassen. Wir sprechen zunächst, was er vor allem über die Vorteile, die ihm das Kiffen bringt. Was gäbe es an Alternativen, um sich zu entspannen? Er möchte das Internetprogramm „Quit th Shit“ ausprobieren, um möglichst seinen Konsum zu reduzieren.

22:28

6. Anruf: Der 52-jährige Anrufer ist verzweifelt: Er ist seit 4 Monaten arbeitslos und völlig verschuldet. Er trinkt seit seiner Zeit bei der Bundeswehr und hat jetzt eine Dosis von bis zu 12 Flaschen Bier und zusätzlich Schnaps. Er ist stark angetrunken, deshalb halte ich das Gespräch kurz. Ich bitte ihn, am Morgen anzurufen, wenn die Verständigung besser möglich ist und wünsche ihm eine gute Nacht (lange Gespräche mit Angetrunkenen bringen außer der momentanen Entlastung nicht allzu viel, da sie alles wieder vergessen.

23:00

Ich prüfe die eingegangenen E-Mail-Anfragen. Zur Beantwortung der drei E-Mails werde ich heute wohl erst nach Mitternacht kommen. Jetzt brauche ich aber erst mal eine Pause.

23:23

7. Anruf: Es ist eine 27-jährige Frau außerhalb von München: Ob wir unter Schweigepflicht stehen und wirklich nicht mit der Polizei zusammenarbeiten? Sie konsumiert regelmäßig Crystal mit ihren Freunden. Gerade hat sie keinen Nachschub und ihr wird ihre desolate Situation bewusst. Ihr Leben dreht sich fast nur noch um die Drogen. Versuche eines kontrollierten Konsums klappen bei dem hohen Suchtpotenzial dieser Droge nicht. Wir erarbeiten einen Weg, wie sie ihr Leben wieder in den Griff bekommen könnte.

00:03

8. Anruf: Ein Juxanruf eines Jugendlichen. Das kommt ab und zu vor.

00:08

Ich beantworte endlich die EMails, die über das Kontaktformular der SuchtHotline gekommen sind.

00:16

9. Anruf: Ein 43-jähriger Kokser will wissen, wie er die Droge in den Griff bekommen kann. Wir sind die erste Stelle, mit der er über sein Problem spricht. Er erlebt es als Niederlage, dass er allein damit nicht mehr klar kommt. Wir sprechen über die hohen Ansprüche, die er an sich hat und die ihn daran hindern, sich Unterstützung zu holen. Die SuchHotline war bereits der erste Schritt.

04:20

10. Anruf: eine 57-jährige Alkoholikerin macht gerade selber Entzug, sie ist allein, hat sehr starke Entzugssymptome. Ich rate ihr dringend, sofort etwas Alkohol zu trinken und die Entgiftung nur in einer Klinik durchzuführen (an Alkoholvergiftungen in Eigenregie sterben immer wieder Menschen an Krampfanfällen).

07:00

Ich mache mich fertig für die Ablösung. Na, immerhin konnte ich gut 4 Stunden schlafen. Noch ein kleines Schwätzchen mit meiner Nachfolgerin und dann ein Spaziergang durch die erwachende Großstadt. Von der kalten Luft, die um meine Ohren bläst, lasse ich die Gedanken an die Nacht wegtragen.


Auch als Betroffener, hatte ich oft Kontakt mit der SuchtHotline und bedanke mich für die Hilfe am Telefon.

P. Hoch, Alkoholiker


Anfangen mit Aufhören - Unter unserer
Nummer erreichen Sie rund um die Uhr anonym
eine/n Gesprächspartner/in der SuchtHotline.

089 28 28 22
www.suchthotline.info