Wenn der Alkohol das Leben bestimmt

Betroffene erzählen über ihre Erfahrungen mit Alkoholsucht

Was bedeutet es, alkoholsüchtig zu sein und sein Leben damit zu verbringen, tagtäglich der Sucht nachzugeben? Wie effektiv sind Entzugstherapien, die auf den Weg zu einem alkoholfreien Leben erst der Anfang sind? Ein Gespräch mit einem trockenen Alkoholiker und dessen Angehörige soll Licht ins Dunkel bringen.

Die wenigsten Menschen erkennen ihre Alkoholsucht. Werden sie darauf angesprochen, heißt es oftmals „ich doch nicht“ oder „so viel trinke ich doch gar nicht“. Dabei stellt sich oftmals eine Frage: ab wann ist man alkoholsüchtig? Und genau das ist das eigentliche Problem. Denn wer ab und zu ein Glas Bier trinkt, muss noch lange nicht alkoholsüchtig sein, sofern er oder sie in der Lage ist, auch mal nein sagen zu können.

Nichtbetroffene, die selber nicht der Alkoholsucht erleiden oder nie Erfahrungen mit alkoholsüchtigen Menschen gemacht haben, können sich kaum eine Vorstellung davon machen. Ein Grund, sich mit einem trockenen Alkoholiker und deren Angehörige zu unterhalten, um die damit verbundenen Erfahrungen zu dokumentieren. Doch eines gleich zuvor: ein Alkoholiker bzw. eine Alkoholikerin wird man immer bleiben. Selbst wenn man der Alkoholsucht den Rücken zugekehrt hat und vollkommen abstinent lebt.

Anfang in der Gemeinschaft

„Wenn man den ganzen Tag hart arbeitet, will man nach Feierabend gemeinsam mit Freunden im Wirtshaus was trinken“, erzählt Jürgen (Name geändert). „Dass man dann etwas mehr trinkt, kommt schon mal vor!“ Doch was zunächst harmlos erscheint, konnte sich schnell zu einer Gewohnheit entwickeln, die ungeahnte Ausmaße annahm. Dabei wurden immer mehr Gelegenheiten genutzt, die Sucht nach Alkohol zu befriedigen. „An manchen Tagen hab ich eine ganze Kiste Bier verbraucht“, bemerkt Jürgen und zeigt sich dabei leicht beschämt.

Es gab keinen einzigen Tag, an dem der heute 53-jährige ohne einen Tropfen Alkohol auskam. Dabei hatte es vor allem seine Ehefrau sehr schwer mit seinen Stimmungsschwankungen zurechtzukommen. „Was ich auch sagte, nichts davon kam bei ihm an. Er winkte meistens nur ab, stellte sich auf stur und brüllte nur noch herum!“ Mit kritischen Bemerkungen kommen Alkoholiker nicht zurecht. So trat Jürgen meistens zur Flucht an, verkroch sich im Keller und ertränkte seine Sorgen in noch mehr Alkohol.

„Im Gegensatz zu vielen anderen Alkoholikern wurde er wenigstens nicht gewaltätig“, erzählt seine Ehefrau weiter. „Doch die ständigen Diskussionen gingen an meine Nerven!“ Ein Zustand, der immer wieder zu Krisen in einer

Beziehung führt und in vielen Fällen zum Bruch.

Zum Entzug verpflichtet

Die Alkoholabhängigkeit von Jürgen verlief denn auch über mehrere Jahre und er dachte nicht im Traum daran, diese Situation zu ändern. Doch ein schwerer Verkehrsunfall, den er im alkoholisierten Zustand verursachte, veränderte sein Leben schlagartig. „Man hat mir nicht nur den Führerschein entzogen, sondern verpflichtete mich zu einer Therapie“, bemerkt Jürgen und erwähnt dabei auch noch die finanziellen Einbußen.

In einer süddeutschen Klinik musste er sich den Tatsachen stellen - immer mit dem Gedanken im Kopf, die Sucht zu befriedigen. „Das schlimme dabei war, dass ich nicht die geringste Lust dazu hatte“, erzählt Jürgen. „Ich hab zwar die zwölf Wochen Therapie durchgezogen, doch dauerte es nur wenige Wochen, bis ich danach wieder rückfällig wurde und das ganze Theater von vorne losging.“

Doch die Situation hat sich dann sogar noch verschlechtert. Die Ehe stand kurz vor dem Aus, Freunde wendeten sich von ihm ab und plötzlich stand er auch noch ohne Job da.

Nur die eigene Einsicht zählt

Als Jürgen dann merkte, dass er immer wieder kurz davorstand, gewalttätig zu werden, ihn zudem Depressionen quälten und auch seine Gesundheit angeschlagen war, besann er sich eines Besseren. „Ich habe selber eingesehen, dass es so nicht weiter gehen kann. Die Beziehung zu meiner Frau ist mir immer noch sehr wichtig und bei all dem was ich verloren habe, wurde es Zeit umzudenken!“ Eine weitere Therapie sollte ihn erneut zur Abstinenz führen.

Doch bei der zweiten Therapie war alles anders. „Diesmal wollte ich meine Sucht wirklich bekämpfen, wollte wieder ein anständiges Leben führen und nie wieder einen Tropfen Alkohol trinken“, gab Jürgen zu verstehen. Die Einsicht und der unbedingte Wille zur Abstinenz waren denn auch entscheidend, dass Jürgen die Therapie erfolgreich abschloss und mittlerweile seit einem halben Jahr ohne einen Tropfen Alkohol zurechtkommt.

„Ich sehe so eine Therapie ohnehin nur als einen ersten Schritt zum alkoholfreien Leben“, betrachtet Jürgen gegenwärtig. „Wenn du selber nur mit halben Herzen dabei bist, fällst du sehr schnell wieder in ein tiefes Loch!“ Dabei erwähnt er immer wieder, dass ihn seine Frau trotz aller früheren Streitigkeiten unterstützt. „Es tut mir auch gut, wenn Freunde und Familienangehörige mein Durchhaltevermögen loben. Das bestärkt mich sehr. Denn in der Zeit nach der ersten Therapie kamen immer wieder Bemerkungen, dass ich das ohnehin nicht durchhalten kann!“

„Dennoch beginnt der Kampf gegen die Gier nach Alkohol jeden Morgen neu, „betont Jürgen,“ und das täglich!“ Ein Kampf, der ihn den Rest seines Lebens begleitet.

Rolf Lemcke